Schornsteine

Die L99 Zulassung – Edelstahl mit Überraschungsfaktor?

Edelstahlrohre mit verschiedenen Durchmessern

Bei einem Edelstahlschornstein kommt es für optimales Funktionieren, Energieeffizienz und Umweltfreundlichkeit nicht nur auf die Konstruktion, sondern auch das Material der Schornsteine und Öfen an. Natürlich sollten auch die Zusammensetzung und die Materialeigenschaften des eingesetzten Edelstahls bekannt sein. Mit der L99 Zulassung hebelt das EU-Recht die Transparenz im Hinblick auf den verwendeten Edelstahl für Schornsteine, Kaminöfen und natürlich auch andere Produkte aus.

Edelstahl – was ist das eigentlich?

Die Qualität von Stahl wird heute in der Regel anhand der EU-Norm EN 10020 definiert. Stahl ist demnach ein Werkstoff, dessen Masse durch Eisen dominiert wird, obwohl er andere Elemente enthalten kann und dessen Kohlenstoffanteil den Wert von 2,06 Prozent nicht überschreitet. Mit Ausnahme einiger Chromstähle mit einem höheren Kohlenstoffanteil liegt hier die Grenze zwischen Gusseisen und Stahl. Auch die zulässigen Grenzwerte zwischen unlegiertem und legiertem Stahl werden in der EN10020 für Beimengungen anderer Elemente – Aluminium, Chrom, Kupfer … – detailliert beschrieben. Bei legiertem Stahl überschreitet mindestens ein enthaltenes Element diese Grenzen. Weitere Normungen betreffen die Bezeichnungssysteme für Stähle aufgrund von Kurznamen (EN 10027-1) sowie eines Nummernsystems (EN 10027-2). Für Stahlerzeugnisse gelten die Begriffsbestimmungen nach EN 10079.

Ferner sieht das europäische Normsystem für Stahl eine Unterscheidung in drei große Gruppen – unlegierte Stähle, nicht rostende Stähle, andere legierte Stähle – sowie fünf Hauptgüteklassen vor, die sich in zahlreiche Untergruppen und entsprechende Einzelnormen unterteilen. Zu den Hauptgüteklassen für Stahl gehören:

  • Unlegierter Qualitätsstahl
  • Unlegierter Edelstahl
  • Nicht rostender Stahl
  • Legierter Qualitätsstahl
  • Legierter Edelstahl

Alle Stähle werden innerhalb dieser Systematik mit einer Kurzbezeichnung aus Haupt- und Zusatzsymbolen versehen. Diese verweisen entweder auf ihre Herstellungsart, ihren Verwendungszweck sowie ihre mechanischen und/oder physikalischen Eigenschaften (Gruppe 1) oder ihre chemischen Merkmale (Gruppe 2). Diese Klassifikationen sind gleichzeitig die offiziellen Zulassungsbezeichnungen für den jeweiligen Stahl, aus denen wichtige Materialeigenschaften und Qualitätsmerkmale ersichtlich sind.

Edelstahl ist in der Definition der EN 10027-2 eine Bezeichnung für unlegierte oder legierte Stähle mit besonders hohem Reinheitsgrad. Entgegen der landläufigen Meinung müssen Edelstähle übrigens nicht zwangsläufig die Anforderungen an einen nicht rostenden Stahl erfüllen. Einige Edelstahlsorten weisen auch magnetische Eigenschaften auf. In jedem Fall werden bei Edelstahl die Materialeigenschaften und bei legierten Edelstählen auch die Legierungsanteile sehr exakt definiert und in den Kurzbezeichnungen entsprechend angegeben.

Verschiedene Sorten und Qualitäten für Edelstahl – was ist zu beachten?

Edelstahl wird in zwei Hauptgüteklassen eingeteilt:

  • Unlegierter Edelstahl erfüllt hohe Anforderungen an ihren Reinheitsgrad im Hinblick auf metallische und nichtmetallische Einschlüsse in das Material. Beispielsweise werden während ihrer Herstellung durch besondere Verfahren Bestandteile wie Silizium oder Aluminium aus dem Schmelzgut abgeschieden. Oft sind sie für weitere Vergütungen – unter anderem Oberflächenhärtungen – vorgesehen. Die Herstellungsbedingungen und die Feinjustierung der chemischen Zusammensetzung unlegierter Edelstähle bewirken unterschiedliche Material- und Gebrauchseigenschaften wie Härtbarkeit, Festigkeit, Schweißeignung und Verformbarkeit.
  • Legierter Edelstahl besteht nicht nur aus Eisen und Kohlenstoff, sondern enthält weitere Legierungselemente. Hieraus resultieren Eigenschaften wie die Korrosions- und Säurebeständigkeit rostfreier Edelstähle oder Hitze- und Wärmebeständigkeit. Auch Wälzlagerstähle, Werkzeugstähle oder Stähle für den Stahl- und Anlagenbau bestehen oft aus legiertem Edelstahl. Von hochlegiertem Edelstahl ist immer dann die Rede, wenn der Massenanteil eines Legierungselementes die Fünf-Prozent-Marke überschreitet.

Die häufigsten Legierungselemente für legierten Edelstahl sind Chrom, Nickel, Molybdän, Titan, Niob, Wolfram, Vanadium oder Kobalt. Sie können als einzelne Legierungselemente oder in Kombinationen gefertigt werden. Beispielsweise muss rostfreier Edelstahl mindestens 13 Prozent Chrom enthalten, Zusätze von Nickel und oder Molybdän verstärken die Korrosionsbeständigkeit des Stahls. Wolfram wird zusammen mit Molybdän, Kobalt und Vanadium für besonders hitzebeständige Edelstähle eingesetzt. Kobalt wird für die Produktion von hochfestem Edelstahl verwendet.

Welche Informationen enthält die Kurzbeschreibung von legiertem Edelstahl?

Einmal abgesehen von der generalisierten L99 Zulassung werden legierte Edelstähle mit einer aus Zahlen und Buchstaben bestehenden Kurzbezeichnung sowie einer Werkstoff-Nummer ausgeliefert. Die Beschreibung eines legierten Edelstahls liest sich dann zum Beispiel folgendermaßen: X5CrNi18-10, Werkstoff-Nummer 1.4301. Hinter dieser Beschreibung verbergen sich unter anderem die folgenden Informationen:

  • X5 – hochlegierter Edelstahl
  • 18 Prozent Chrom-Anteil (Cr)
  • 10 Prozent Nickel-Anteil (Ni)
  • 43 – nicht rostend, Nickel-Anteil < 2,5 Prozent, ohne Molybdän, Niob und Titan

Außerdem geben Kurzbezeichnung und Werkstoffnummer Aufschluss über Wärmebehandlungszustand, Zugfestigkeit und Dehnungseigenschaften, Härte, Dichte, Wärmeleitfähigkeit, Wärmeausdehnung sowie die Kerbschlagzähigkeit (Widerstandsfähigkeit gegen schlagartige, dynamische Beanspruchung) eines Edelstahls.

Die gängigsten Sorten für Edelstahlprodukte

Die gängigsten Sorten für Edelstahlprodukte sind Edelstähle mit den Werkstoffnummern 1.4404, 1.4571 und 1.4301. Dabei handelt es sich um korrosionsbeständige Edelstähle mit guter Schmiedbarkeit und ausgezeichneter Schweißeignung, die für den Einsatz bei tiefen, aber auch bei hohen Temperaturen bis 550 °C geeignet sind. Für Edelstahlschornsteine und Edelstahlkamine wird am häufigsten die Qualität 1.4404 verwendet. Dabei handelt es sich um einen besonders robusten, säure- und korrosionsbeständigen Edelstahl.

Die L99 Zulassung als generalisierte Zulassung für Edelstahl – wo liegt das Problem?

Die L99 Zulassung ist eine Generalzulassung für alle Edelstahlprodukte. Sie stellt dem Hersteller frei, für die Produktion eine beliebige Edelstahl-Legierung zu verwenden. Inzwischen kommen in immer größerem Umfang auch Edelstahlschornsteine und Edelstahlkamine aus solchen undefinierten Legierungen auf den Markt. Auch ein großer Markenhersteller hat sich für die Produktion von Schornsteinsystemen mit L99 Zulassung entschieden. Zum Teil besteht ein solcher Edelstahlschornstein oder Edelstahlkamin komplett aus L99 Material, bei anderen Modellen wird nur das Schornstein- oder Kamin-Innere daraus gefertigt.

Die exakten Deklarierungen der Materialeigenschaften und gegebenenfalls der Legierungselemente für Edelstahl im Rahmen der bisherigen Normierung fallen bei Edelstahl mit einer L99 Zulassung weg. Für den Kunden ist eine eigenständige Qualitätsbeurteilung des erworbenen Edelstahlproduktes nicht mehr möglich. Vielmehr ist er dafür vollständig auf die Angaben des Herstellers angewiesen, der nicht verpflichtet ist, die Eigenschaften von Edelstahl mit einer L99 Zulassung im Detail zu deklarieren.

L99 Zulassung – inklusive offener Haftungsfragen

Manche Anbieter schreiben auch bei Edelstahlprodukten mit einer L99 Zulassung zusätzlich oder nur die Qualität 1.4404 aus. Ob diese der Realität entspricht, ist durch den Kunden jedoch nicht mehr prüfbar und in vielen Fällen fraglich. Im ungünstigsten Fall bleiben bei einem L99 Edelstahlerzeugnis statt umfassender und objektiver Produktinformationen anhand der europäischen Normvorgaben nur noch Werbeversprechen übrig. Im Alltag kann daraus mehr als eine unliebsame Überraschung resultieren.

Aus der L99 Zulassung ergeben sich damit auch neue – und wenig kundenfreundliche – Bedingungen für die Haftung der Hersteller bei Qualitätsmängeln von Edelstahlprodukten. In der Praxis dürfte eine Haftung eher unwahrscheinlich sein: Was nicht exakt definiert ist, kann seitens der Kunden auch nicht eingefordert werden. Ob die falsche Angabe der 1.4404 oder anderer deklarierter Edelstahlqualitäten im Ernstfall abmahnfähig ist, bleibt bisher völlig offen.

L99 – politische Entscheidung als „Hilfe“ für die Stahlerzeuger?

Die Entwicklung auf dem Stahlmarkt legt die dringende Vermutung nahe, dass die L99 Zulassung von Edelstahl vor allem eine politische Entscheidung ist, die den Stahlerzeugern helfen soll. Von Kunden- und Verbraucherschutz ist in diesem Kontext naturgemäß nicht oder kaum die Rede.

Seit dem Beginn der 2000er Jahre sind nicht nur die europäischen Stahlhersteller unter anderem durch die Wandlung Chinas vom Stahlimporteur zum Exporteur im großen Stil immer stärker unter Druck geraten. Die gesamte Branche leidet unter permanenten Überkapazitäten. Hinzu kommen die ehrgeizigen – und im Zweifelsfall wenig realistischen – Klimaziele der EU.

Bisher stuft Brüssel die Stahlindustrie als eine Branche ein, bei der durch hohe Emissionshandelskosten Produktionsverlagerungen an Standorte außerhalb der europäischen Gemeinschaft drohen würden. Aus diesem Grund erhielten die Stahlerzeuger die gesetzlich vorgeschriebenen Emissionszertifikate lange gratis zugeteilt. Ab 2017 werden die Stahlkocher jedoch Emissionsrechte kaufen müssen. Die Grenzwerte für die zulässigen CO2-Emissionen liegen derzeit bei 1.328 kg pro Tonne Roheisen – bislang werden sie von keinem einzigen Hochofen innerhalb der EU erfüllt. Wenn Öfen und/oder Grenzwerte nicht verändert werden, müssten allein die deutschen Stahlerzeuger im Jahr 2021 Emissionsrechte im Wert von 657 Millionen Euro kaufen, zusätzlich ergäben sich indirekte Kosteneffekte in Höhe von 456 Euro. Im Gegenzug stellt die EU hier an einem anderen Punkt die Weichen neu: Die L99 Zulassung ermöglicht deutliche Qualitätsabstriche und damit Kostensenkungen bei der Produktion von Edelstahl.

Fazit:

Kunden, die einen Edelsteinschornstein, einen Edelstahlkamin oder andere Edelstahlprodukte erwerben wollen, sollten sich dabei für Erzeugnisse entscheiden, die nach den bisher üblichen EU-Normen deklariert sind. Die neuen Produkte mit einer L99 Zulassung ermöglichen keine Qualitätsbeurteilung des Edelstahls und des Gesamtproduktes. Die Anerkennung von Haftungsansprüchen gegenüber dem Hersteller aufgrund von Materialmängeln bei einem Edelstahlschornstein oder Edelstahlkamin mit einer L99 Zulassung sind aufgrund der nicht mehr transparenten und durch detaillierte Normen abgesicherten Materialzusammensetzungen und Materialeigenschaften unwahrscheinlich.